Der Weg zur Diagnose 99% Duchenne…es bleiben 1% Hoffnung

Wenn dein Elterninstinkt dir sagt mit deinem Kind stimmt etwas nicht, dann vertraue darauf und traue nicht blind einem Kinderarzt oder Menschen die dein Kind nicht so kennen wie du es tust. Diesen Fehler haben wir lange gemacht und es tut immer noch weh, wenn man sich vor Augen hält wie man sein Kind über Monate/ Jahre hinweg unbewusst gequält hat. Ja gequält…

Unser Sohn Ben kam im Jahre 2011 zur Welt.

Er war ein gesunder Junge, halt zu dick steht in seinem U-Heft. Er wurde 1 Jahr alt und krabbelte noch nicht, der Kinderarzt gab uns Tipps wie wir unseren “faulen“ Jungen dazu bekommen sich zu bemühen zu krabbeln. Es funktionierte wirklich, Ben tat alles um an sein Lieblingsspielzeug zu kommen, das krabbeln sah allerdings immer etwas holprig aus, war ja nicht so schlimm, es gibt ja Kinder die überspringen es ja komplett, so hört man.

Mit 14 Monaten machte er dann schon die ersten Schritte, scheint ja alles gut zu laufen.

Ben kam dann bevor er 2 Jahre alt wurde zur Tagesmutter, dieser fiel auf, dass wenn Ben stolpert er sich mit den Händen nicht abfängt. Hinweis zur Kenntnis genommen und den Kinderarzt angerufen. Puh, alles in Ordnung, in dem Alter muss dieser Reflex noch nicht ausgeprägt sein.

Ben stolperte öfters mal, er lief schon mal voller Freude durchs Wohnzimmer, einmal mit neuen Schuhen, er stolperte und fiel auf die Tischkante, eine Platzwunde, wir haben damals da einfach nur funktioniert und im Krankenhaus wurde die Wunde geklebt,, alles wieder gut“ waren Bens Worte, die Schuhmarke hatte er nie wieder bekommen, wir wussten es ja nicht besser für uns waren die Schuhe der Grund des stolperns.

Der Schwimmlehrer, Erzieherinnen in der Kita, Taekwondo Lehrer, egal was Ben gemacht hat, egal wo Ben war immer fiel jemand etwas auf was ungewöhnlich war.

Er konnte an der Leiter nicht alleine aus dem Wasser steigen, er konnte erst spät Treppen steigen, er rannte nicht in der Kita wie die anderen, er hüpfte nicht wie andere.

Der Kinderarzt wurde von uns immer zeitnah mit den Auffälligkeiten konfrontiert, aber es war immer alle altersgerecht. ,, Er ist halt ein Grobmotoriker, das kommt bei ihm halt später aber dafür hat er ja andere Fähigkeiten“ . Ja der Arzt hatte Recht, Ben konnte ja schon früh sprechen, evtl. liegt da seine Stärke.

Also haben wir es so hingenommen, mit Ben war alles in Ordnung.

Mit 4 Jahren konnte er  Laufrad fahren, mit 5 Jahren hat er Fahrrad fahren gelernt, auf Schulhöfen ist er gerne gefahren aber an Strassen traute er sich nicht ran. Irgendwann fiel ihm das anfahren auch schwerer.

,, Der Junge muss öfters Fahrrad fahren, ihr müsst öfters mit ihm üben etc.“ Ja, vielleicht hatten die anderen Recht, also öfters mal mit dem Rad auf den Schulhof, er konnte es doch, er braucht bestimmt nur mehr  Routine. Ich war innerlich oft so wütend, Radfahren verlernt man doch nicht, was stimmt nicht mit ihm. Beim Treppen steigen war er langsam, beim laufen war er  langsam und ich erwischte mich oft wie es mich nervte und ich sagte jetzt trödel nicht so und lauf doch mal etwas schneller. Versuch mal anders vom Boden aufzustehen. Als er dann zur Schule ging musste er seinen Schultornister selbst die Treppe hoch tragen, es konnte ja nicht so schwer sein.

Ich wusste es doch nicht besser und es tut mir heute so leid, dass ich in meinen Augen so wenig, bei diesen Dingen, auf ihn eingegangen bin.

Mit etwa 5 Jahren stand auch die nächste U-Untersuchung an. ,, Bisschen faul und grobmotorisch etwas verzögert der Junge, da müssen wir jetzt mal was tun und verschreiben mal etwas Ergotherapie“.

Die 1. Therapeutin war nicht die richtige für Ben, nachdem wir uns trauten zu wechseln hatte Ben eine super Ergotherapeutin, sie ging immer super auf ihn ein, mit ihr konnte auch ich über meine Sorgen sprechen. Ich erzählte ihr, dass ich das Gefühl habe das etwas  mit Bens Muskeln nicht stimmt und wir jetzt an seiner 1,5 jährigen Schwester sehen, dass sie sich bereits jetzt ganz anders bewegt und jetzt schon stärker zu sein scheint als Ben.

Sie bestätigte mir, dass der Muskelaufbau auf sich warten lies und gab es uns auch schriftlich für unseren damaligen Kinderarzt.

Ben sagte damals einige Tage vorher zu mir, dass er wissen möchte was mit seinen Beinen ist und er rennen möchte wie die anderen Kinder, ein Arzt soll doch mal gucken und ihm helfen.

Das war der Punkt wo es bei mir Klick machte. Unserem Sohn ging es mit der Situation nicht mehr gut und er brauchte Hilfe.

Mit dem schreiben der Therapeutin und unserem Sohn sind wir zum Kinderarzt, ich erzählte von den Worten unseres Kindes und dass wir das gerne untersuchen lassen würden, darauf kamen lange auf uns einredende Sätze, wie.: ,,Ihr Sohn ist nur unsportlich, hätte er eine Muskelerkrankung dann gäbe es so was bereits in ihrer Familie und das ist ja wohl nicht der Fall, wir könnten ihn jetzt mit Blutabnahmen quälen und es käme nichts bei rum, ich weigere mich ihn in irgendeiner weise weiter untersuchen zu lassen, wechseln sie bitte die Ergotherapeutin die ihnen so einen Mist einredet.“

Ich wusste erst nicht was jetzt, hatte er recht? Wir gingen erstmal, ich sprach mit Freunden und Verwandten darüber. Meine Schwester arbeitete im Krankenhaus und sprach dort mit Ärzten, diese sagten ihr was für Wege wir gehen könnten und gaben ihr den Hinweis nicht zu lange damit zu warten. Eine Befreundete med. Fachangestellte machte mir Mut einfach dem Kinderarzt die Stirn zu bieten, er konnte uns doch nicht einfach die Hilfe verweigern. Und sie war es auch die mir die Hilfe anbot, den anderen Weg zu gehen, damit Ben von einem Spezialsten untersucht wird, falls es mit einem anderen Kinderarzt so schnell nicht klappt.

Wir hatten Glück und haben schnell einen neuen Kinderarzt gefunden, er hörte uns zu und gab uns auf Anfrage eine Überweisung für das SPZ- Sozialpädiatrisches Zentrum.

Wir mussten länger auf den Termin warten, dieser war dann am 07.Dezember 2017. Zwei Tage vorher war ich beim recherchieren im Internet von Bens Symptomen zufällig auf das Wort Muskeldystrophie- Duchenne gestoßen.

Ich redete mit anderen darüber, dass es halt die schlimmste Sache sein könnte, wenn was gefunden wird, teilweise wurde es hirngespinnst abgewunken.  Ok, erstmal abgehakt und den Termin abgewartet.

Der Arzt im 1. SPZ war sehr nett zu Ben. Er untersuchte Ben sehr genau, als er fertig war und Ben abgelenkt war, sprachen wir mit einander. Er sah mich an und sagte: ,, Ich sehe ihnen an, dass sie bereits wissen was ich ihnen jetzt sagen werde.“ Und ja es war so, ich fing an zu weinen und er erklärte mir dann was ich bereits gelesen hatte. Ich dachte nur:,, Warum erzählt er jetzt so was, nein das kann nicht sein, das hat er jetzt nicht wirklich gesagt, doch er sagte dass er sich zu 99% sicher ist. Ben weise alle Symptome auf. Er sagte, dass Ben jetzt erstmal eine große Blutabnahme bevor steht und ein  Gentest durchgeführt werden müsse.

Die Welt brach in diesem Moment über mich zusammen, ich hörte nur noch unheilbar Krank, Rollstuhl, früher Tod. Ben fragte warum ich weine und der Arzt erkläre ihm, dass seine Muskeln krank sind und so sehr wir es auch wollten, die Muskeln nicht mehr gesund machen können, es wäre wie bei einem Schnupfen , der einfach nicht mehr weggeht. Ben hat es erstmal einfach nur hin genommen , er fand es blöd aber konnte damit noch nicht soviel anfangen. Alles weiß ich nicht mehr genau von diesem Tag.

Aber ich hatte ihm vorher von seiner Lieblingsserie 3 Armbänder gekauft und habe ihm ihn diesen Morgen nach und nach gegeben, die sollten ihm Mut geben. Auf der Rückfahrt nahm er eins ab und gab es mir mit den Worten: ,,Damit du stark bist und nicht immer weinen musst“. Er sah uns die Tage darauf oft weinen, wir wollten es nicht aber es kam einfach.  Eines Tages sagte er, dass er da kein bock drauf hat, dass wir ständig traurig sind. Er heult doch auch nicht rum. Wir merkten, dass ihm das mehr weh tut uns so zu sehen als alles andere, uns war klar dass wir stark sein müssen und es auch sein werden für ihn und für seine kleine Schwester. Sie wird zwar nicht selber von der Krankheit betroffen sein aber sie wird alles miterleben und auch sie wird es prägen.

Die Blutabnahme am 15.12.17 erfolgte bei dem neuen Kinderarzt.

Ben hatte große Angst davor. Die Blutabnahme lief nicht so perfekt ab, er durfte sich danach aber was aussuchen, was ihn tapfer durchhalten lies.

Ein Paar Tage später bekam ich den Anruf der Kinderärztin, der CK wert des Blutes, der wohl ein Indiz dafür ist dass die Muskeln erkrankt sind lag bei 16300 U/l, der Normalwert liegt unter 172 U/l.  Wir waren darauf vorbereitet und trotzdem war es wieder wie ein Faustschlag, die Hoffnung stirbt ja zu letzt und man hoffte, dass der Arzt sich doch irren könnte.

Die Ergebnisse vom Gentest lassen noch auf sich warten, bei dem 1. Durchlauf wurde nichts gefunden, nun läuft der 2. Durchlauf auf Punktmutationen…wird da nichts gefunden, kommt Ben um eine Muskelbiopsie nicht drum rum.

Am 26.01.2018 hat Ben einen Termin im Uniklinikum zur ersten weiteren Untersuchung und da werden wir hoffentlich mehr erfahren. Wir möchten endlich etwas tun können was den Verlauf hinauszögert und nicht bei jedem stolpern daran erinnert zu werden, dass wir hätten schon längst was tun können, wenn wir die Worte des damaligen Kinderarztes viel früher angezweifelt hätten.

Ab 5 Jahren wäre es möglich gewesen eine Behandlung anzufangen.

Ich hätte noch viele Beispiele aus Bens Leben schreiben können, was einen im nach hinein alles auffällt, wir wissen jetzt warum er gewisse Dinge nicht machen wollte oder es anders versucht hat als andere Kinder. Heute wissen wir kein Kind bewegt sich absichtlich schlecht oder sehr langsam, wenn mit ihm alles in Ordnung ist.

Durch diese Diagnose sind wir noch geduldiger geworden und achten mehr gegenseitig auf uns alle. Wir haben viele Menschen, um uns herum die uns Mut  machen und uns Kraft geben, dafür sind wir dankbar.

Wir versuchen viel zu lachen und viel schöne gemeinsame Zeit zu erleben, man weiß ja nie wie viel Zeit einen für die schönen Dinge im Leben bleiben.

Mit Ben haben wir ein Deal gemacht, es wird nur bei den behandelnden Ärzten über das Thema gesprochen und wenn zu Hause darüber gesprochen wird, dann nur solange bis er sagt stopp.

Er bestimmt das Tempo wie viel er wann wissen möchte und daran halten wir uns auch.

Im Moment geht es ihm gut und das zeigt er uns jeden Tag aufs Neue mit seiner sympathischen, offenherzigen und fröhlichen Art.

 

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